Deutsch /
English
Spaziergang durch Georgetown
Reisen zu dritt: Das bedeutet üblicherweise, 24 Stunden am Tag gemeinsam zu verbringen. Kein Kindergarten, kein Büro trennt uns voneinander. Das ist einerseits natürlich schön und auch Zweck dieser Reise, doch braucht jeder von uns hin und wieder eine Auszeit von der Familie.
Deshalb teilen wir uns heute auf. Norman und Titus machen einen Ganztagesausflug in einen Vergnügungspark, und ich erkunde auf eigene Faust das historische Zentrum von Georgetown, nachdem wir uns um halb neun morgens voneinander verabschiedet haben.
Zuerst brauche ich einen Kaffee und stärke mich in einem entzückenden Café in der Jalan Chulia, wo die Bedienung mir außer Koffein und Croissant auch gleich das Wifi-Passwort serviert.

Allzu lange halte ich mich aber nicht auf, denn ich will die “kühlere” Morgenluft für eine ausgiebige Stadtbesichtigung nutzen.
Shophouses, alt und neu
Zuerst spaziere ich durch verlassene Straßen bis zum berühmten Chong Tze Fatt-Haus. Das ehemalige Wohnhaus eines der reichsten Händler Georgetowns aus dem späten 19. Jahrhundert beherbergt in seinen 38 Zimmern heute ein Hotel. Leider fallen die normalerweise mehrmals täglich stattfindenden Führungen dem Coronavirus zum Opfer, immerhin lässt mich der Parkwächter einen Blick auf die Fassade werfen.

Georgetown hat einen ganz eigenen Charme. Die Innenstadt ist geprägt von den Shophäusern der chinesischen Siedler. Während einige von ihnen liebevoll erhalten und restauriert sind, verfallen andere einfach. Viele haben verschimmelte Fassaden, löchrige Dächer und eingestürzte Wände. Dazwischen wuchert üppige Blumenpracht von Rhododendron, Frangipani und Hibiskus.

In der historischen Altstadt bin ich trotz der einigermaßen frühen Stunde nicht alleine unterwegs. Vor der Stadt liegen gleich zwei Kreuzfahrtschiffe vor Anker, und Busladungen voller Touristen strömen in Tempel und versammeln sich vor den Sehenswürdigkeiten.
Clan Jettys
Ich lasse die Innenstadt hinter mir und spaziere Richtung Hafen. Dort liegen die sogenannten Clan Jettys. Chinesische Klans kümmerten sich um die neu angereisten Landsleute und versuchten, ihnen dabei zu helfen, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Diese Klans waren streng nach Zugehörigkeit zu Regionen und Familien getrennt und bestens organisiert. Sie errichteten Wohnhäuser auf Stelzen direkt am Hafen, wo bis heute Nachkommen leben – und nach wie vor keine Steuern entrichten müssen, da sie ja “außer Landes” wohnen.

Ich bin beeindruckt davon, wie unterschiedlich die Jettys sind. Es gibt den Touristen-Magnet, wo entlang der hölzernen Gehwege jeglicher Krimskrams angeboten wird, es gibt sehr ärmlich wirkende, heruntergekommene Viertel und es gibt die, in denen richtig solide Häuser stehen und von Wohlstand zeugen.

Ganz gründlich arbeite ich mich von Norden nach Süden durch fünf oder sechs verschiedene solcher Stelzen-Viertel, bis ich am Ende den großen Tempel erreiche.

Street Art
Ich bin froh, dass ich alleine unterwegs bin, denn spätestens ab 11 Uhr wird es heiß, und mein T-Shirt klebt bald am Rücken. Titus wäre von einem solchen Stadtrundgang nicht allzu begeistert gewesen. Aber noch kann ich mich dazu aufraffen, weiterzugehen, und lasse mich durch die kleinen Gässchen und Straßen rund um die Armenian Street treiben. Hier finden sich an Straßenecken und Hausmauern Street Art, d.h. künstlerische Fassadenmalerei, aber der Touristentrubel ist mir viel zu groß, und ich habe keine Lust, für ein Foto in der Schlange zu stehen.

Pause
So langsam geht mir nach gut drei Stunden Besichtigung die Luft aus, und ich brauche eine ausgiebige Pause. Die gönne ich mir dann auch, und verbringe den Rest des Mittags/Nachmittags in einem gemütlichen Café und später bei einer Runde Yoga und Fitness im Hotelzimmer.
Dann lese ich in einem netten Roman, der in Malaysia (bzw. damals noch Malaya) in den 1950er Jahren spielt, und das Lokalkolorit darin passt natürlich bestens zu meiner aktuellen Umgebung. Gegen 19 Uhr schnappe ich mir Handy und Geldbeutel und spaziere in ein benachbartes Stadtviertel. Auf dem Weg dorthin wird mir wieder bewusst, wie sehr ich Südostasien liebe. Hier kann ich als Frau alleine und ungestört den lieben langen Tag durch die Stadt laufen und fühle mich dabei sicher. Niemand beachtet mich, niemand belästigt mich, und wenn ich angesprochen werde, dann nur von hilfsbereiten, freundlichen und interessierten Menschen. Vor dem indischen Tempel nickt man mir freundlich zu, die chinesischen Essenshändler am Straßenrand grüßen, und der einheimische Passant macht mich auf die Funktionsweise der Fußgängerampel aufmerksam.
Abendessen à la Penang
Ich genieße also den kleinen Spaziergang durch die einsetzende Dämmerung und biege bald in die Lorong Madras ab. Dort soll sich eines der besten vegetarischen Lokale Georgetowns befinden – das zumindest von außen nicht allzu viel hermacht. Doch der Schein trügt. Als kurz darauf auch Titus und Norman dort eintreffen, lassen wir uns bei Luk Yea Yan köstliche Mee-Suppe, typische Laksa mit vielen frischen Kräutern und Nasi Kandar schmecken. Während die beiden von ihrem wohl sehr, sehr gelungenen Ausflug in den Vergnügungspark berichten, schlürfen wir begeistert die würzigen Brühen und den erfrischenden Zitronen-Eistee. Und auch die Rechnung am Ende überzeugt: nur knapp 9 Euro hat das Mahl für uns drei gekostet.
Beschwingt treten wir den Heimweg an, halten uns unterwegs die Ohren wegen der ohrenbetäubenden Musik aus dem Hindu-Tempel zu und fallen im Hotel müde und zufrieden ins Bett – ein gelungener Tag für jeden von uns!
Deutsch /
English
Walking around Georgetown
An extended family trip: This usually means spending 24 hours a day together. No kindergarten, no office separates us. On the one hand this is of course nice and also the purpose of this trip, but every one of us needs a break from the beloved family every now and then.
Therefore we are splitting up today. Norman and Titus go on a full day trip to an amusement park, and I explore the historic centre of Georgetown on my own after we say goodbye to each other at half past eight in the morning.
First I need a coffee and fortify myself in a delightful café on Jalan Chulia, where the waitress serves me not only caffeine and croissant but also a Wi-Fi password. But I don’t stay too long, because I want to take advantage of the “cooler” morning air for an extensive city tour.
Shophouses, old and new
First, I walk through deserted streets up to the famous Chong Tze Fatt Mansion. The former residence of one of the richest merchants of Georgetown from the late 19th century accommodates a hotel in its 38 rooms today. Unfortunately, the guided tours, which normally take place several times a day, fall victim to the corona virus. At least the security guard lets me take some pics from the facade.

Georgetown has a charm of its own. The city centre is characterized by the shop houses of the Chinese settlers. While some of them are lovingly preserved and restored, others simply decay. Many have mouldy facades, holey roofs and collapsed walls. In between, luxuriant flowers of rhododendron, frangipani and hibiscus proliferate.

In the historical old town I am not alone despite the early hour. Two cruise ships are anchored outside the city, and busloads of tourists flock to temples and gather in front of the sights.

Clan Jetties
I leave the city centre behind me and walk towards the harbour, where I find myself at the so-called Clan Jetties. Chinese clans took care of the newly arrived compatriots and tried to help them to settle into their new home. These clans were strictly separated according to region and family affiliation and were well organized. They built houses on stilts directly at the harbour, where descendants still live today – and still do not have to pay taxes, since they live “outside of the country”.

I am impressed by how different the Jetties are. There is the tourist magnet, where along the wooden sidewalks all kinds of junk is offered, there are very poor-looking, run-down quarters and there are those in which solid houses stand and testify to prosperity. I work very thoroughly from north to south through five or six different Chinese quarters until I finally reach a very large temple.

Street Art
I’m glad that I’m on my own, because at 11 o’clock at the latest it gets hot and my T-shirt soon sticks to my back. Titus would not have been too enthusiastic about such a city tour. But I can still get up the courage to go on and let myself drift through the small alleys and streets around Armenian Street. Here, street art, i.e. artistic facade painting, can be found on street corners and house walls, but the tourist bustle is much too much for me and I don’t feel like queuing for taking a photo.

Intermission
Slowly, after three hours of sightseeing, I feel quite exhausted and I need an extensive break. I treat myself to lunch and a lazy afternoon in a cosy café and later on a round of yoga and exercise in our hotel room.
Then I read in a nice novel set in Malaysia (or Malaya at that time) in the 1950s, and the local colour in it fits my current surroundings perfectly. Around 7 pm I grab my cell phone and wallet and walk to a neighbouring district. On the way there I realize again how much I love Southeast Asia. Here I can walk alone and undisturbed through the city the whole day and feel safe. Nobody pays attention to me, nobody bothers me, and when I am approached, it is only by helpful, friendly and interested people. In front of the Indian temple, people nod at me in a friendly way, the Chinese food stall owners at the roadside greet me, and the local pedestrian shows me how to use the pedestrian traffic light.
Dinner, Penang Style
So I enjoy the little walk through the incipient twilight and soon turn into Lorong Madras. There is said to be one of the best vegetarian restaurants in Georgetown – which at least from the outside doesn’t look like much. But appearances are deceptive. When shortly afterwards Titus and Norman arrive there and join me for dinner, we enjoy delicious Mee soup, typical Laksa with many fresh herbs and Nasi Kandar at Luk Yea Yan. While the two tell excitedly about their amazing trip to the amusement park, we sip the spicy broth and the refreshing lemon ice tea. And also the bill at the end is convincing: the meal for the three of us cost only about 9 Euros.

We start our way home exhilarated, cover our ears on the way because of the deafening music from the Hindu temple and fall into bed tired and satisfied in the hotel – a successful day for all of us!
Comments (2)
Wollt schon fragen, ob es nicht anstrengend wird, immer alles gemeinsam zu machen. Und hier kam die Antwort. Schön.
Hihi. Ehrlich gesagt bin es tatsächlich meistens ich, die eine Auszeit braucht…
LG, Nadine