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Wir entdecken Chengdu
Chengdu – Du machst es uns so leicht! Manchmal wird beim Betreten von Geschäften oder Lokalen sporadisch die Temperatur überprüft und es gibt eine durchgehende Maskenpflicht in der Öffentlichkeit (für deren Einhaltung streng dreinblickende Uniformierte sorgen).

Eine eigene Mini-App auf WeChat zeichnet minutiös die Bewegungen der Nutzer auf, und man muss beim Betreten von Sehenswürdigkeiten das Handy damit vorzeigen – bei grünem Display („war nicht in der Nähe eines gemeldeten Neu-Erkrankten“) darf man unbehelligt weitergehen.
Aber ansonsten herrscht hier fast Normalzustand. Busse und U-Bahnen fahren im Drei-Minuten-Takt, auf den Straßen fahren lautlos Elektroroller und viele, viele Fahrräder halsbrecherisch auf den eigenen Spuren, die Parks und Gehwege sind voller Spaziergänger und sämtliche Läden und Restaurants warten auf Kundschaft. Auch unsere Unterkunft ist genau richtig für unsere Ansprüche: Wir bewohnen für wenig Geld ein sehr geräumiges Zimmer und haben morgens den Frühstücksraum oben im 6. Stock ganz für uns. Dort wohnt die Mehrgenerationen-Familie, der die Unterkunft gehört, mitsamt Kleinkind und Oma, und die Waschmaschine dürfen wir netterweise mitbenutzen. Auch hier ist das Team ausschließlich weiblich, und alle sprechen gutes Englisch, so dass wir die netten Damen an der Rezeption ständig mit sämtlichen Fragen löchern können.
Khuan Zhai Xiangzi und Sichuan Opera
Und wir wohnen so zentral, dass wir zu Fuß zu einem der Altstadtviertel gehen können. Die Straßen und Häuser rund um die Khuan Zhai Xiangzi stammen aus der Qing-Dynastie und datieren bis auf das 17. Jahrhundert zurück – doch sind sie eher historisierend denn originalgetreu wieder aufgebaut worden.

Beim ausgiebigen Spaziergang fühlen wir uns an eine Art künstliche Stadt erinnert, so perfekt und altertümlich wirkt alles Zwar sind wir die einzigen westlichen Touristen, dennoch herrscht hier bereits wieder viel Betrieb in den Gässchen, Restaurants und unzähligen, überteuerten Teehäusern. Jedes fünfte Gebäude beherbergt eine „typische“ Sichuan-Theaterkompagnie, die mit viel Getöse Besucher anlockt.
Auch wir lassen uns – nach einer kleinen Stärkung von einem der vielen Straßenstände – so ein Spektakel nicht entgehen und nehmen in einem plüschigen kleinen Theaterraum Platz. Bald steht die obligatorische Kanne Tee vor uns, und die Show kann beginnen: Schattentheater, eine Art Clownnummer mit Akrobatik, das traditionelle Tee-Eingießen und eine Tanzeinlage sind auch ohne Worte zu verstehen. Am Ende steht der Höhepunkt, der spektakuläre Maskenwechsel (Bian Lian).

Titus ist völlig hingerissen davon und unterhält das ganze Publikum mit seinen begeisterten Zwischenrufen. Die zwanzigjährigen Jungs vor uns wissen gar nicht mehr, ob sie auf die Bühne gucken oder lieber das Kind anhimmeln sollen.
Berührungsängste mit uns gibt es jedenfalls bisher keine, wir hören und lesen zwar in manchen WeChat- und Facebookgruppen davon, dass “Laowai” (Ausländer) in chinesischen Städten angefeindet werden, doch auch nach einem Monat in China haben wir damit noch keine Erfahrungen gemacht. Vielleicht wirken wir als Familie weniger „gefährlich“, nach wie vor ist Titus ein Türöffner und wird vor allem von jungen Leuten um die 20 und von Senioren angeschmachtet. Das ist ihm aber höchst egal und inzwischen sogar unangenehm – auf jede Anfrage nach einem gemeinsamen Foto reagiert er unwirsch und lehnt ab. Und das darf er auch, denn wir haben ihm beigebracht, klar und deutlich „Nein“ zu sagen, wenn er etwas nicht möchte; auch zu Erwachsenen.
Nach einer halben Stunde ist die Show jedenfalls vorbei und wir machen uns per Metro, wo wir fasziniert per Handy (Alipay) die Fahrkarten am Automaten bezahlen, zum örtlichen Büro von Air China. Dort lässt man uns als erstes wissen, dass in fünfzehn Minuten Feierabend sei, beantwortet dann doch unsere Frage nach Flügen zufriedenstellend: Ja, es gibt einmal einen Direktflug nach Deutschland, ab Anfang Mai sind auch wieder Plätze verfügbar. Na also, diese Auskunft genügt uns erst einmal.
Immer lecker: Hot Pot
Auf besonderen Wunsch von Titus kehren wir zum Abendessen in eine Niederlassung des chinesischen Hot Pot-Riesen Hai Di Lao ein (weltweit knapp 500 Restaurants). Den kennt und liebt der Sohnemann seit Singapur, und dank unserer Expertise und der einfachen Bestellung über ein Tablet kommen wir auch ohne Chinesischkenntnisse zu einem köstlichen Abendessen. Auch wenn wir hier in Chengdu in ein separates Zimmer verfrachtet werden und nicht mit den anderen Gäste im großen Hauptraum speisen dürfen. Dafür kostet das Menü mitsamt dem wie immer sehr unterhaltsamen Nudel-Akrobaten nur ein Drittel des Preises, den wir in Singapur für das fast identische Abendessen zahlen mussten…

Da wir vorhaben, noch mindestens eine weitere Woche in Chengdu zu bleiben, wo alles herrlich „normal“ und ohne Einschränkungen läuft, lassen wir es ruhig angehen. Die Vormittage verbringen wir im Guesthouse mit Yoga, Schuleinheiten, Lesen, Musikhören und am Laptop. Mittags schlendern wir durch den nahegelegenen People‘s Park, in dem Menschenmassen im warmen Sonnenschein flanieren, im in die Jahre gekommenen Vergnügungspark die Kinder Karussell fahren lassen, bei einer Tasse Tee Majong spielen oder selbstvergessen Tai Chi praktizieren.

Titus klettert über jeden Stein und springt von jeder Mauer, beobachtet Angler und die allgegenwärtigen Karpfen und Goldfische und ist zufrieden damit, einfach draußen unterwegs zu sein. Jeden Abend muss ich ihm die aktuelle Schrittzahl vortragen, und er ist erst zufrieden, wenn er mehr als 20.000 geschafft hat.
Wenshu-Kloster, Jinli-Straße, Tianfu Square
Wir fahren mit dem Bus ein paar Stationen und wandern stundenlang durch den Wenshu-Kloster und die daran angrenzende Jinli-Gasse, die wie ein chinesischer Weihnachtsmarkt wirkt, mit all den Souvenir- und Essensständen.

In einem der vielen Lokale essen wir vorzüglichen Hot Pot, der uns mit seiner Schärfe (Sichuan-Pfeffer und Chili) aber fast in die Knie zwingt.
Der Tianfu-Platz mit der alles überragenden Mao-Statue ist nur wenige Minuten zu Fuß von unserem Guesthouse entfernt, dort fahren nicht nur gleich drei verschiedene U-Bahn-Linien ab, sondern es gibt im dazugehörigen Einkaufszentrum auch einen Bäcker und ein Sushi-Restaurant, beide Ketten kennen wir aus Singapur und wieder ist das Kind höchst zufrieden.

Für das leibliche Wohl sorgt auch ein Abstecher in die französische Supermarktkette, und während Norman und ich beim Night Owl Market leckere (und höllisch scharfe!) Speisen an den verschiedenen Ständen probieren, speist Titus mit Genuss eine Käsesemmel mit Gurke.
Trotzdem bemerke ich eine neue Anhänglichkeit. Titus ist immer schon sehr kuschelbedürftig, doch nun fordert er Körperkontakt mehrmals täglich und dazu noch beim Einschlafen sehr vehement ein. Auch besteht er seit ein paar Tagen jeden Abend vor dem Zubettgehen auf einer Ganzkörpermassage, und ich fühle mich in Zeiten der Babymassagen zurückversetzt. Ich lese aber, dass viele Kinder gerade solche Anwandlungen haben, vielleicht ist es eine Reaktion auf die reduzierten Kontakte zu Freunden und Familienmitgliedern in Zeiten von Ausgangssperre, Quarantäne oder – wie bei uns – Langzeitreisen. Das Zusammensein mit den Lieben und die körperliche Nähe kann halt auch kein Videotelefonat ersetzen.
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Exploring Chengdu
Chengdu – you make our life so comfortable! Sometimes the body temperature is checked when entering a shop or restaurant and there is a continuous obligation to wear a mask in public (strictly enforced by people in uniforms with a stern look). A mini app on WeChat tracks the movements of the users in minute detail, and one has to show the mobile phone when entering sights – if it’s green (“was not near a registered newly infected patient”) you can continue without being disturbed.
But apart from that, the daily life here is almost normal. Busses and subways run every three minutes, electric scooters and many, many bicycles ride silently on the streets, the parks and sidewalks are full of locals and all shops and restaurants are waiting for customers. Also our guesthouse is exactly right for our demands: we live in a very spacious room for little money and in the morning we have the breakfast room upstairs on the 6th floor all to ourselves. The multigenerational family who owns the accommodation lives there, too – including toddler and grandmother. We are kindly allowed to use their washing machine. The team here is exclusively female and all speak good English, so that we can always ask the nice ladies at the reception for any questions.
Khuan Zhai Xiangzi and Sichuan Opera
And the guesthouse is located so centrally that we can even walk to one of the old city districts. The streets and houses around the Khuan Zhai Xiangzi date back to the Qing Dynasty (17th century) – but they have been rebuilt more in a historicizing way than true to the original.

During the extensive walk we feel like being in an artificial city, so perfect and ancient everything seems to be. Although we are the only western tourists, nevertheless, here already again a lot of activity prevails in the alleys, restaurants and countless, overpriced tea houses. . Every fifth building accommodates a “typical” Sichuan theatre company that attracts visitors with a lot of noise.
After a little refreshment from one of the many street stalls, we also want to attend such a spectacle and take a seat in a plush little theatre room. Soon the obligatory pot of tea is in front of us and the show starts: Shadow theatre, a kind of clown act with acrobatics, the traditional tea pouring and a dance performance can be understood even without words.

At the end is the climax, the spectacular mask change (Bian Lian). Titus is completely enraptured by it and entertains the whole audience with his enthusiastic interjections. The twenty-year-old boys in front of us don’t know anymore whether they should look at the stage or rather adore the child.
We hear and read in some WeChat and Facebook groups that “Laowai” (foreigners) are being attacked in Chinese cities, but even after a month in China we still haven’t had experienced anything like that. Maybe we as a family seem less “dangerous”, Titus is still a door opener and is mainly being groped by young people around 20 and by seniors. But he doesn’t care about that and meanwhile even feels uncomfortable – he reacts brusquely to every request for a selfie and refuses. And he is allowed to do so, because we have taught him to say “no” clearly and distinctly when he does not want something; even to adults.
Anyway, after half an hour the show is over and we go to the local office of Air China by metro, where we fascinatedly pay the tickets by mobile phone (Alipay). There, the first thing they tell us is that in fifteen minutes it will be closing time, but then they answer our question about flights satisfactorily: Yes, there is a weekly direct flight to Germany, from the beginning of May there will be tickets available. Well then, this information is sufficient for us for the time being.
Yummy Hot Pots
At Titus’ special request we stop for dinner at a branch of the Chinese hot pot giant Hai Di Lao (almost 500 restaurants worldwide). Our son has known and loved their restaurants since Singapore, and thanks to our expertise and the ease with which we can order from a tablet computer, we can have a delicious dinner even without any knowledge of Chinese.

Even though here in Chengdu we are moved into a separate room and are not allowed to dine with the other guests in the large main room. Therefore, the menu including the as always very entertaining noodle acrobat costs only one third of the price we had to pay in Singapore for an almost identical dinner a couple of weeks ago.
Since we plan to stay in Chengdu for at least another week, where everything is going wonderfully “normal” and without any restrictions, we take it easy. We spend the mornings in the guesthouse with yoga, school sessions, reading, listening to music and working. At noon we stroll through the nearby People’s Park, where crowds of people enjoy the warm sunshine, let the children ride the merry-go-round in the aging amusement park, play majong over a cup of tea or practice Tai Chi in a self-forgetful manner. Titus climbs over every stone and jumps off every wall, observing the ubiquitous carp and goldfish, and is content to just be outdoors. Every evening I have to tell him the current step number, and he is only satisfied when he has done more than 20,000.
Wenshu Temple, Jinli Street and Tianfu Square
We take the bus a few stops and walk for hours through Wenshu Temple and the adjacent Jinli Street, which looks like a Chinese Christmas market, with all the souvenir and food stalls.

In one of the many restaurants we eat excellent hot pot, but its spiciness (Sichuan pepper and chili) almost brings us to our knees.

The Tianfu Square with the huge Mao statue towering above everything is only a few minutes walk from our guesthouse.

Not only it is the largest city square in southwestern China and three different subway lines meet there, there is also a bakery and a sushi restaurant in the shopping mall below it. We recognize both chains from Singapore and again the child is highly satisfied. A side trip to the French supermarket chain also provides for the physical well-being, and while Norman and I try some delicious (and hellishly hot!) food at the Night Owl Market at the different stalls, Titus enjoys a cheese bun with cucumber.
Nevertheless I notice a new attachment. Titus has always been very cuddly, but now he demands physical contact several times a day and when falling asleep vehemently. He has also insisted on a full body massage every evening before going to bed for the last few days, and I feel transported back to the days of baby massages. I read, however, that many children have just such impulses, perhaps it is a reaction to the reduced contact with friends and family members in times of curfew, quarantine or – in our case – long-term travel. Video calls cannot replace being close to loved ones.