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Chengdu am Mittwoch
Der Morgen beginnt mit einer Überraschung: Die Zahnfee tatsächlich hat den Weg nach China auf sich genommen und einen kleinen Brief sowie ein lang ersehntes Kaleidoskop hinterlassen. So geht der Tag doch schon mal gleich gut los.
Überhaupt haben sich nun einige Routinen eingespielt, die uns den Tagesablauf erleichtern. Wichtig ist dabei: maximales Ausschlafen. So liegen wir nicht selten alle bis mindestens 8 Uhr oder 9 Uhr im Bett. Bis wir dann mit dem Frühstücken fertig sind, ich meine (fast) tägliche Yogarunde und Chinesisch-Lektion absolviert habe und Titus ausreichend gespielt hat, ist es meist schon Zeit für das Mittagessen und das weitere Tagesprogramm.
Wir machen uns also mit dem Bus auf den Weg zum Du Fu Cottage. Unser Guesthouse liegt so sensationell günstig, dass nicht nur drei Metro-Linien in knapp zehn Minuten zu Fuß erreicht werden können, sondern auch gleich acht verschiedene Buslinien praktisch vor der Tür abfahren. Im Bus kostet jede Fahrt automatisch 2 Yuan, die wahlweise per QR-Scan, aufgeladener Karte oder eben bar bezahlt werden können. Mit der Karten-App auf dem Handy lässt sich der Weg nachverfolgen, und so haben wir bislang stets die richtige Haltestelle erwischt.
Nach einer kleinen Stärkung (sehr knoblauchlastiges, würziges Gemüse, Mais, Tomaten-Omelett) spazieren wir durch die weitläufige Parkanlage rund um die ehemaligen Wohnhäuser des chinesischen Nationaldichters Du Fu (712-770). Wie alle chinesischen Grünanlagen ist alles picobello und adrett, es gibt einen Bonsaigarten, Bambus und viel fließendes und stehendes Wasser. In Letzterem tummeln sich Schwärme von Koi-Karpfen. Die Fische gelten als besonders glücksbringend und werden verehrt. Deshalb gehört das Füttern der sowieso schon sehr wohlgenährten Karpfen zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung; für ein paar Yuan bekommen Kinder sogar auf Wunsch ein Babyfläschchen mit Fischfutter an der Stange in die Hand gedrückt, an denen die Fische saugen. Die gebärden sich dabei wie wild, drängeln sich an der Wasseroberfläche und bekommen gar nicht genug zu Fressen. Kinder versuchen, die Tiere zu streicheln, und wir stehen ob der Begeisterung nur ein wenig kopfschüttelnd daneben.
Ein anderes äußerst beliebtes Hobby ist es, sich in möglichst aufwändigen traditionellen Kostümen professionell fotografisch in Szene setzen zu lassen. Wir begegnen gleich mehreren chinesischen Schönheiten in vollem Ornat und Kopfputz, die vor dem Grün des Gartens möglichst anmutige Posen einnehmen.
Wieder mit dem Bus geht es weiter, wir stocken im großen Supermarkt unsere Vorräte auf und kehren zum Abendessen in ein rein vegetarisches Restaurant ein – denn auch die gibt es im sonst sehr fleischverrückten China. Bereits den ganzen Tag über ist Titus‘ Sehnsucht nach den Großeltern allgegenwärtig, beim Spaziergang schwelgte er in Erinnerungen und schmiedete detaillierte Pläne, was er beim Wiedersehen alles im großelterlichen Garten und Haus zu tun gedenkt. Zum Glück kann er selbstständig zumindest ein wenig Abhilfe schaffen: Kaum sind wir zurück im Hotelzimmer, schnappt er sich sein Tablet und telefoniert mindestens eine halbe Stunde lang mit Oma und Opa. Die drei lösen Rätsel, stellen sich Rechenaufgaben und verbringen echte „Quality Time“ miteinander. Das geht auch von China aus.

Chengdu am Donnerstag
Am Vormittag klinke ich mich aus und widme mich mal wieder dem Geldverdienen. Ich lese also fleißig Korrektur, während Norman mit Titus ins nahe gelegene Science Museum spaziert und dort die interaktive Kinder-Ausstellung besucht.
Ich brauche am Nachmittag Bewegung, und so schlendern wir am Fluss entlang bis ins Party- und Ausgehviertel Langkwaifong. Auf einer der Webseiten für Expats in Chengdu haben wir nämlich dort ein deutsches Restaurant ausfindig gemacht – und das Titus bei der Erinnerung an seine geliebten Spätzle regelmäßig ein paar Tränchen verdrückt, naht nun endlich Abhilfe. Auch Norman und ich freuen uns nach langer, langer Abstinenz über Weißbier und eine Brotzeit. Manchmal muss es eben ein bisschen Heimatgefühl sein. Die Luft in inzwischen so lau, dass wir abends im T-Shirt draußen sitzen können, und als wir nach Einbruch der Dunkelheit zurück spazieren, tummeln sich viele Ausgehwillige vor den Bars und Clubs.

Chengdu am Freitag
Auch heute habe ich Korrekturdienst und verziehe mich für zwei Stunden in den Frühstücksraum, während Norman und Titus fleißig Lego bauen. Anschließend übernehme ich die Kinderbetreuung, denn Norman hat endlich, endlich einen Friseursalon ausfindig gemacht, der sich auch einen Bartschnitt zutraut. Bärte sind in China kaum verbreitet, richtige Barber Shops sucht der Mann also seit Wochen vergeblich.
Die Mitarbeiter dort sind völlig aus dem Häuschen wegen des unerwarteten Kunden und schießen neben Haarschnitt und Rasur ein Tiktok-Video nach dem anderen.
Das Ganze dauert also viel länger als gedacht, und ich kann Titus die Warterei nur damit versüßen, dass wir tatsächlich noch einmal auf eine Portion Kässpatzen und eine Breze in das „Lenbach“ einkehren.
Anschließend sitzen wir am Flussufer in der Sonne, ich lese viele Kapitel der skurrilen Geschichten um „Mr. Gum“ vor und trinke Kaffee. Endlich gesellt sich der brandneu frisierte Norman zu uns und wir machen uns per Bus auf den Weg zum Baihuatan Park. Dort hoffen wir auf einen ganz normalen Spielplatz, werden aber enttäuscht: nur ein etwas schmuddeliger Vergnügungspark soll für Kinderspaß sorgen. Titus stört sich aber nicht daran, beobachtet lieber wieder das Spektakel um die allgegenwärtigen Koi-Karpfen (siehe oben) und hüpft und turnt durch den adretten und perfekt gepflegten Garten.
Wir dehnen den Spaziergang aus und laufen entlang des Flusses, wo es mal mehr, mal weniger intensiv nach Fisch müffelt. Jogger, Hundebesitzer und Radler sind dort unterwegs, es wird mitten auf Brücken getanzt und an den öffentlich zugänglichen Sportgeräten trainiert. In kleinen, schäbigen Geschäften werden Welpen, Kätzchen, Papageien und anderes Getier verkauft, das Heulen ist weithin zu hören. Das Stadtzentrum haben wir eindeutig hinter uns gelassen.
Später machen wir es uns im Restaurant „Kathmandu“ direkt am Ufer gemütlich. Der Betreiber mit nepalesischen Wurzeln serviert Thali, Yak-Pizza und Bier, währenddessen grübelt Titus über Bruchrechnen nach. Manchmal ist mir das Kind ein bisschen unheimlich.
So geht unser letzter Tag in Chengdu zu Ende. Auf der langen Heimfahrt mit dem Bus passieren wir viele Orte, an denen wir in den vergangenen 12 Tagen waren, und ich habe das Gefühl, mich in der Stadt tatsächlich ein bisschen auszukennen. Zeit für die Weiterreise!
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Wednesday in Chengdu
The morning begins with a surprise: the tooth fairy has actually came all the way to China during the night, leaving behind a letter and a long awaited kaleidoscope. So the day starts quite well.
In general, some routines have now been established which make our daily routine easier. The most important thing is to get as much sleep as possible. It is not uncommon for all of us to be in bed until at least 8 or 9 o’clock. By the time we have finished breakfast, I have practiced (almost) daily yoga and Chinese lessons and Titus has played for a while, it is usually already time for lunch and the rest of the day’s program.
So we take the bus to Du Fu Thatched Cottage. Our guesthouse is so conveniently located that not only three metro lines can be reached on foot in less than ten minutes, but also eight different bus lines depart practically right outside the door. In the bus, each trip automatically costs 2 Yuan that can be paid either by QR-scan, prepaid card or cash. With the map app on the mobile phone, the journey can be traced, and we always got the right stop.
After a small refreshment (very garlic-y, spicy vegetables, corn and tomato omelette) we walk through the extensive park complex around the former residential houses of the Chinese national poet Du Fu (712-770). Like all Chinese parks everything is perfectly in order and neat, there is a bonsai garden, bamboo and lots of rivers and ponds. In the latter, swarms of Koi carps cavort. The fish are considered to bring luck and are revered. Feeding the already very well-fed carps is therefore a popular leisure activity; for a few yuan, children can even get a baby bottle full of fish food on which the fish suck. Thereby, they act like wild animals, crowd at the water surface and do not get enough to eat. Children try to stroke the fish and we stand next to them shaking our heads a little.
Another very popular hobby is to be professionally photographed in traditional costumes that are as elaborate as possible. We meet several Chinese beauties in full regalia, who pose as gracefully as possible in front of the green of the garden.
We continue by bus again, stock up on supplies in the big supermarket and stop for dinner in a purely vegetarian restaurant – because even these are available in the otherwise very meat-crazy China. Titus’ longing for his grandparents is already omnipresent throughout the day. During the walk he reminisced and made detailed plans about what he intends to do in his grandparents’ garden and house when he sees them again. Fortunately, he manages to find a little relief on his own: In the very moment when we enter the hotel room he grabs his tablet computer and chitchats with grandma and grandpa via video call for at least half an hour. The three of them solve puzzles, arithmetic problems and spend real “quality time” together. Even between China and Germany they manage to stay close to each other.
Thursday in Chengdu
In the morning I have to spend a couple of hours by earning some money. So I’m busy proofreading while Norman takes Titus to the nearby Science Museum and visits the interactive children’s exhibition.
I need exercise in the afternoon, so we stroll along the river to the party and nightlife district of Langkwaifong. On one of the websites for expats in Chengdu, we found a German restaurant there – especially for Titus, who regularly sheds some tears when he remembers his beloved “Spätzle” (a typical dish from Southern Germany). The ones they serve at “Lenbach” are not like Grandma’s, but at least the kid is happy and eats as much as he can. After a long, long abstinence, Norman and I are also happy to taste some wheat beer and a typical Bavarian snack. It almost feels like home, which is important now and then. The air is now so warm in the evening that we can sit outside only wearing T-shirts, and when we walk back after dark, many party people cavort in front of the bars and clubs.
Friday in Chengdu
Also today I have proofreading duty and spend two hours at the breakfast room for work, while Norman and Titus are busy building Lego. Afterwards I take over the child care, because Norman has finally, finally found a hairdresser’s shop that is willing to do a beard cut. Beards are not very common in China, so the man has been looking for real barber shop for weeks in vain.
The employees there are totally excited about the unexpected customer and in addition to the haircut and shave they shoot one Tiktok video after the other.
So the whole thing takes much longer than expected, and I can only sweeten Titus’s wait by actually stopping again by the German restaurant for another portion of “Kässpatzen” and a pretzel.
Afterwards we sit on the river bank in the sun, I read many chapters of the bizarre stories about “Mr. Gum” and drink coffee. Finally the brand new coiffed Norman joins us and we start our way by bus to Baihuatan Park. There we hope to find a normal playground, but are disappointed: only a somewhat grubby amusement park is supposed to provide fun for children. But Titus doesn’t mind, he prefers to watch the spectacle around the omnipresent Koi carps (see above) again and jumps and gymnastics through the neat and perfectly maintained garden.
We extend the walk along the river, where it sometimes smells more or less intense of fish. Joggers, dog owners and cyclists are on the move there, there is dancing in the middle of bridges and training on the publicly accessible sports equipment.

In small, shabby shops puppies, kittens, parrots and other animals are sold, the howling can be heard from far away. We have clearly left the city centre behind us.
Later we make ourselves comfortable in the restaurant “Kathmandu” directly at the shore. The owner with Nepalese roots serves Thali, Yak-Pizza and beer, while Titus is thinking about fractions. Sometimes the child is scaring me a little.
So our last day in Chengdu comes to an end. On the long bus ride home we pass many places we have been to in the past 12 days and I feel like I really know my way around the city. Time to continue our journey!
Comments (6)
Ach jaaa, wie schön. Schon fast zu schön, ich “hoffe” ihr streitet euch auch mal ;-)… verstehst wie ich das meine?…
und cool wie aus “The sides much shorter” ein “The size must shorter” wurde, oder sagte Norman etwa “Besides watch orca”…. 😉
Bis denne und gute Weiterreise.
Aber natürlich streiten wir auch, das kommt schließlich in den besten Familien vor… 🙂 Aber ehrlich gesagt, hängt der Haussegen viel seltener schief als im ganz normalen Familienalltag. Wir sind eben alle sehr viel entspannter (und ausgeschlafener) momentan, und kommen gut mit der ständigen Nähe klar.
Und über die Übersetzungs-Fails der Chinesen kommt demnächst noch ein separater Beitrag – allein was die Übersetzungsapps da manchmal ausspucken, ist zum Totlachen!
Hallo ihr Drei,
zum Bruchrechnen kann man zum Veranschaulichen prima mit der Torte arbeiten – also einem Papierkreis, der entsprechend einer Torte zerschnitten wurde.
Was auch sehr gut funktioniert, sind Legosteine. Am besten sind anfangs die 1er Reihen (10×1, 5×1, usw.), da kann man auch gut die Unterschiede sehen.
Funktioniert auch gut für Multiplikation und Division.
Hat bei uns sehr gut geklappt.
Viele Grüße extra an Titus, sein Bericht aus dem Space Center war toll. Ich würde es mir direkt auch anschauen wollen.
Weiterhin viel Spaß in China
Sandra aus Thüringen
Liebe Sandra, vielen Dank für die tollen Tipps! Auf die Sache mit der Torte und den Legosteinen ist das Kind schon ganz alleine gekommen, so fing das Ganze überhaupt erst an. Er denkt unheimlich viel über mathematische Zusammenhänge nach, damit kann er sich stundenlang beschäftigen. Aber Du hast recht, das kann man natürlich mit den Legos gut spielerisch zeigen! Das Einmaleins bis 7 hat er drauf, für den Rest probieren wir das mal mit den Steinen.
Aber er ist ja erst fünf, ein bisschen was soll er in der Grundschule ja auch noch lernen… :-)))
Liebe Grüße und passt auf Euch auf!
Nadine
PS: Titus bedankt sich für das Lob, er ist inzwischen ein begeisterter Blogger!
Na hoffentlich wird ihm in der Schule nicht langweilig. Bei dem Wissen, was er schon hat (und auch seiner Größe) kann er ja gleich in die 2. Klasse gehen.
Meine Tochter konnte bei der Einschulung schon lesen, bedingt durch einen großen Bruder. Sie hat es aber so geschickt verborgen, dass die Lehrerin es nicht gemerkt hat. Erst gegen Weihnachten hatte ich es der Lehrerin gesagt und diese war recht erstaunt. Meine Tochter wollte aber nicht hervorstechen und so hat sie immer nur stockend vorgelesen, wie die anderen auch. Da hat sie sich lieber gelangweilt!
LG Sandra
Oh, das hat sie ja clever gemacht!