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Von Freud und Leid
Die Hiobsbotschaft trifft am Samstagmorgen ein: China setzt weiterhin internationale Flüge nicht-chinesischer Fluggesellschaften aus, bis mindestens Mitte oder gar Ende Juni. Damit ist unser geplanter Flug mit Turkish Airlines ersatzlos gestrichen. Und das, nachdem wir tagelang nach Flügen gesucht, endlich eine finanziell zufriedenstellende Lösung gefunden und auch die Weiterreise am neuen Ziel bereits umfangreich vorbereitet und recherchiert hatten.
Die Frustration ist groß, vor allem hinsichtlich der Alternative, sofern wir nicht vier weitere Wochen in China verbringen wollen. Uns bleibt nur, den Flug mit Air China nach Frankfurt zu nehmen, der einmal wöchentlich ab Shanghai fliegt. Für rund 8.000 Euro, als mehr oder weniger den Rest unseres Reisebudgets. Damit ist das Reiseziel Schweden, das wir den Juni über mit einem Wohnmobil bereisen wollten, hinfällig – den finanziell ist beides eben nicht drin.
Ich muss erst einmal raus, mir schlägt dieses erneute „Alles zurück auf Anfang“ auf die Stimmung. Also schnappe ich mir Titus für einen Ausflug, der natürlich spürt, dass ich gerade ziemlich unglücklich bin, und mich mit Küssen und Streicheleinheiten überschüttet. Norman wird derweil an den Schreibtisch verdonnert, mit der Aufgabe, noch einmal alle Flugoptionen abzuklopfen.
Hongkou, das ehemalige Shanghaier Ghetto
Mit der Metro fahren wir nach Hongkou. In diesem Viertel, früher auch Hongkew geschrieben, wurden rund 25.000 Juden interniert. Diese waren Ende der 1930er Jahre aus Österreich, Deutschland und anderen von den Nazis besetzten Ländern geflohen. Denn Shanghai hatte sich als eine der wenigen Großstädte weltweit bereit erklärt, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Ganz Großfamilien nahmen die beschwerliche Reise per Schiff auf sich und stellten sich dem Abenteuer China. Nur um dann nach der Einnahme Shanghais durch die japanischen Truppen in eine Art Ghetto gepfercht zu werden, zusammen mit 100.000 dort bereits lebenden Chinesen. Unter beengten und prekären hygienischen Verhältnissen harrten die Bewohner dort bis zum Kriegsende aus.
Diesem historisch so beladenen Stadtteil möchte ich natürlich auf den Grund gehen, passend dazu lese ich nämlich gerade die Lebensgeschichte der jüdischen Familie Toufar, die 1938 aus Wien nach Shanghai umgesiedelt ist („Shanghai Escape“, Kathy Kacer).

Leider ist das Jewish Refugee Museum wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, von der ehemaligen Synagoge ist nur ein Baugerüst zu sehen. Wir schlendern also einfach durch die verbliebenden Gassen in der näheren Umgebung. Hier stehen noch viele Häuser aus dem vorigen Jahrhundert, die meisten davon unrenoviert und eher einfach.

Ich kann mir gut vorstellen, wie es hier vor 80 Jahren zugegangen sein mag. Doch auch hier macht der Shanghaier Bauboom nicht Halt, die Baustellen der neu entstehenden Bürotürme und Einkaufszentren werfen bereits ihre Schatten über die niedrigen Wohnhäuser.

Titus kann dem ganzen Ausflug – außer der „Quality Time“ mit Mama – nicht viel abgewinnen, also spazieren wir zum westlichen Huangpu-Ufer und nehmen die Fähre auf die andere Seite. Die Fähre kann mit der Metro-Netzkarte benutzt werden, das Schiff fährt im Fünf-Minuten-Takt von Ufer zu Ufer und nimmt Motorroller, Fahrräder und Fußgänger mit.

Afternoon Tea im Ritz
Drüben in Pudong erwartet uns dann das Kontrastprogramm. Inmitten der Wolkenkratzer treffen wir Norman und kehren gemeinsam in den 53. Stock des Ritz Carlton-Hotels ein, wo wir ganz feudal den Afternoon Tea einnehmen. Die Briten haben dahingehend in allen asiatischen Metropolen ihren Stempel hinterlassen, die Teestunde darf mitsamt den passenden Leckereien in keinem gehobenen Gastro-Betrieb fehlen. Hier versüßt uns die fantastische Aussicht über das Häusermeer Shanghais zusätzlich den Genuss von Tee, Scones und anderen Häppchen.

Das tröstet uns doch ganz gut über die Flug-Stornierung hinweg, und wir nutzen die Gelegenheit, während Titus mit einem Hörbuch beschäftigt ist, um andere Reiserouten anzudenken (und die meisten davon gleich wieder zu verwerfen). Vor unserer Nase setzt gut 30 Kilometer östlich Flugzeug um Flugzeug zum Landeanflug an, der nationale Flughafen Hongqiao ist gut frequentiert.
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Shanghai: Joys and Sorrows
The bad news arrives on Saturday morning: China continues the suspension of international flights by non-Chinese airlines until at least mid or even the end of June. This means that our flight with Turkish Airlines is cancelled without any replacement. And this, after we had been searching for flights for days, finally found a financially satisfactory solution and had also already prepared and researched the onward journey at the new destination extensively.
The frustration is huge, especially regarding the alternative, unless we want to spend four more weeks in China. The only option left for us is to take the Air China flight to Frankfurt, which departs once a week from Shanghai. For around 8,000 euros, more or less the rest of our travel budget. This means that the destination Sweden, which we wanted to travel to in June with a motorhome, is no longer a viable option financially.
I have to get out of the hotel, this new “everything back to the beginning” is really bad for my mood. So I grab Titus for an outing, who of course senses that I’m pretty unhappy right now, and throws kisses and caresses at me. Meanwhile Norman is being bounced to his desk, with the task of checking all flight options once again.
Hongkou, the former Shanghai Ghetto
We take the metro to Hongkou. In this quarter, formerly known as Hongkew, some 25,000 Jews were interned. They had fled from Austria, Germany and other Nazi-occupied countries at the end of the 1930s. In fact, Shanghai was one of the few major cities in the world that had agreed to accept Jewish refugees. Entire extended families took on the arduous journey by ship and faced the adventure of China. Only to be crammed into a kind of ghetto after Shanghai was captured by Japanese troops, together with 100,000 Chinese already living there. Under cramped and precarious hygienic conditions, the inhabitants there held out until the end of the war.
Of course I wanted to get to the bottom of this historically loaded district, because I started reading the life story of the Jewish Toufar family, who moved from Vienna to Shanghai in 1938 (“Shanghai Escape” by Kathy Kacer).

Unfortunately, the Jewish Refugee Museum is still closed for renovation work, only a scaffolding can be seen in front of the former synagogue. So we simply stroll through the remaining alleys in the nearer surroundings. There are still many houses from the last century, most of them unrenovated and rather simple. I can well imagine what it might have been here 80 years ago. But Shanghai’s building boom does not stop here either, the construction sites of the newly emerging office towers and shopping malls are already casting their shadows over the low-rise residential buildings.

Titus can’t get much out of the whole trip – except for “quality time” with Mom – so we walk to the western Huangpu shore and take the ferry to the other side. The ferry can be used with the prepaid metro card, the ship goes from shore to shore every five minutes and takes scooters, bicycles and pedestrians with it.

Afternoon Tea at the Ritz
In Pudong we dive into the contrast program. In the middle of the skyscrapers we meet Norman and together we go to the 53rd floor of the Ritz Carlton Hotel, where we enjoy a decent afternoon tea. The British have left this heritage in all Asian metropolises, and the tea time, together with the appropriate delicacies, is a must in every upscale restaurant. Here, the fantastic view over Shanghai’s sea of houses additionally sweetens the pleasure of tea, scones and other snacks.
This consoles us quite well over the flight cancellation, and we use the opportunity, while Titus is busy with an audio book, to think of other travel routes (and to discard most of them immediately again). In front of our nose, plane after plane 30 kilometres east of us is in approach for a landing, the national airport Hongqiao is still well frequented.

Comments (6)
Ach, wie ätzend, aber, ob Schweden im Juni jemanden reinlässt, ist ja auch noch völlig offen, eher nicht, und die Fahrt durch Dänemark geht ja auch noch nicht, spontan habe ich gedacht, in China bleiben, da gibt es bestimmt noch mehr, aber ich lese, dass ihr Alternativen, wahrscheinlich auch Nachbarländer, schon abgewägt habt, schwierig schwierig – und wann man wieder reisen kann (wenn man nicht in die klassischen deutschen Reisedestinationen möchte, an deren Öffnung Heiko Maas gerade arbeitet) völlig offen, nichts ist mehr wie es war und es wird auch erstmal nicht mehr so werden. Ich drückeeuch ganz doll die Daumen für eine gute Lösung! Anja
Vielen Dank, liebe Anja!
Wir haben eine Lösung gefunden – nicht ideal, aber momentan nicht anders machbar.
In China zu bleiben ginge natürlich, nach fast drei Monaten hier zieht es uns aber nun doch woanders hin. Und früher oder später müssen wir den Rückweg nach D antreten. Die Nachbarländer sind allesamt noch zu für Touristen, uns bleibt also nur der Flug nach Deutschland.
Und dann haben wir dort noch den ganzen Sommer vor uns und können spontan entscheiden, was wir dort unternehmen und was überhaupt möglich ist. 2020 ist definitiv das Jahr der spontanen Reiseplanung!
Liebe Grüße
Nadine
So ein Mist. Und 8000 Euro. Hilfe
Da waren die 800 Euro, die uns der frühere Rückflug aus Neuseeland für die Tochter gekostet hat, ja billig.
Geht es dann nach München? Und wo könnt ihr dann wohnen?
Das tut mir echt leid. LG Tanja
Ja, ein echt fieser Preis. Aber wir haben keine Garantie, dass es in den nächsten Wochen günstiger wird – und Norman muss am 1. August im Büro sitzen, daran führt kein Weg vorbei.
Voraussichtlich werden wir uns in einer Wohnung in der Nähe unserer Eltern einquartieren, denn in Bayern müssen wir ja erst einmal 14 Tage in Quarantäne. Da findet sich auf jeden Fall eine Unterkunft.
Danke für Deine Anteilnahme und liebe Grüße!
Nadine
Ich drück die Daumen!
Danke!