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Beobachtungen in China*, Teil 2
Hier gehts zu Teil 1.
Verkehr: Elektroroller…
Die Dichte von Elektrorollern im Straßenverkehr ist hoch. Fast jeder hat so ein Gefährt, das hier für wenig Geld an jeder beliebigen Straßenecke zum Verkauf angeboten wird. Die kleinen Flitzer sind leise, wendig – und notfalls können dort sowohl bis zu drei Personen als auch große Lasten transportiert werden.
Verkehrsregeln gelten für die Roller nicht. Ist die Straße mal zu voll, wird eben auf dem Gehweg gefahren, ohne Rücksicht auf Fußgänger und in unverminderter Geschwindigkeit.
Manche Gehwege sind derart zugeparkt mit den Gefährten, dass kaum ein Durchkommen ist. Da es in China zumindest in der einen Jahreshälfte empfindlich kalt werden kann, hat jeder Roller eine extra dafür angefertigte Wintermontur, bestehend aus einer Art Cape mit am Lenker befestigten Handschuhen. Wind- und Wasserdicht und mollig warm – eine geniale Erfindung, die ich gerne für mein Fahrrad hätte!
… und Fahrräder
Aber auch die Fahrräder sind nicht gänzlich aus dem Straßenbild verschwunden, immer noch sind vor allem in den Städten unerschrockene Radler unterwegs. Allerdings hat kaum jemand ein eigenes Fahrrad, praktisch alle nutzen Leihräder. Das System, das weder in Deutschland noch in Singapur funktioniert hat, erfreut sich hier in China größter Beliebtheit: An jeder Ecke gibt es Leih- und Abholstationen, die per Handy bedient werden können.

Mode: Schuhwerk…
In China ist man verrückt nach Turnschuhen. Egal, ob vom Fake Market oder vom Gucci Store, Männer wie Frauen tragen Sneakers. Am liebsten in Weiß oder möglichst grellen Farben. Und egal ob zum Anzug, zum niedlichen Kleidchen oder zur momentan bei den Damen allgegenwärtigen Latzhose.
… und Kinderkleidung
Ansonsten ist aber von Gender-Neutralität nichts bekannt. Mädchen unter 10 tragen fast ausschließlich üppige Tüllkleidchen, vorzugsweise in Pink, Lila oder zartem Rosé. Selbst die Kleinsten können sich vor lauter Tüllschichten, Pailetten und Rüschen kaum rühren.
Die Buben sind daran zu erkennen, dass sie möglichst martialisch anmutende Designs auf den T-Shirts spazieren tragen, gerne gesehen ist auch Flecktarn. Und natürlich immer ein möglichst akkurater Kurzhaarschnitt. Dass Titus lange Haare hat und gleichzeitig männlich ist, mag kaum jemand glauben.
Familie:
In China gibt es Arbeitskräfte en masse. Knapp 800 Millionen Erwerbstätige gibt es im Land, und zwar Männer und Frauen gleichermaßen. Bereits Mao forderte die weibliche Arbeitskraft vehement ein („Frauen tragen die Hälfte des Himmels“), Frauen am Herd gab es im Kommunismus nicht, jeder sollte sein Scherflein beitragen.
Von Personalmangel keine Spur:
Das hält sich bis heute, unter Gutverdienern wie unter der bäuerlichen Bevölkerung. Letztere strömt zu Tausenden in die Städte, leben sie doch teilweise in bitterer Armut. Das wird zwar in den Städten nicht besser, immerhin gibt es Arbeit für jeden. Die Arbeitskräfte sind günstig, dementsprechend gibt es überall Personal zur Genüge – für uns oft ein ungewohnter Anblick, wenn in einem praktisch leeren Restaurant zwölf Kellner gelangweilt an der Theke lehnen oder im Bus außer dem Busfahrer auch noch eigens ein Fahrkartenkontrolleur mit an Bord ist (der ziemlich wenig zu tun hat, da alle per Handy oder aufladbarer Karte am Lesegerät bezahlen).
Großeltern sind die besten Babysitter:
Um die Kinder kümmern sich in den meisten Fällen ganz selbstverständlich die Großeltern, während beide Eltern voll berufstätig sind – und oft eben weit entfernt leben. Doch selbst in Metropolen wie Shanghai sieht man nachmittags auf dem Spielplatz ausschließlich Großeltern mit den Enkeln. Die werden natürlich nach allen Regeln der Kunst verwöhnt und behütet, schließlich ist die Ein-Kind-Politik erst seit 2016 beendet. Klettern und Toben findet nicht statt, schmutzig machen sich chinesische Kinder in den Städten auch nicht.
Das Sozialleben findet draußen statt:
Vor allem in den Städten ist der Wohnraum teuer und klein. Kaum eine Wohnung – die teuersten Apartments mit eingeschlossen – haben einen Balkon. Wozu auch, dort würde man ja nur vereinsamen. Stattdessen findet das Leben nach Feierabend bzw. im Rentenalter draußen statt. Abend für Abend werden Klappstühle auf den Gehweg gestellt, für ein Schwätzchen mit den Nachbarn, für eine Runde Karten oder Mah-Jongg oder einfach, um den Flanierenden oder Sporttreibenden zuzuschauen. Hier hält es niemanden alleine in seinem kleinen Wohnzimmer, Nachbarschaft und Gemeinschaft im Allgemeinen sind wichtig.

Ohrenreiniger und Schreihälse:
Gleichzeitig darf jeder tun und lassen, was er will. Egal, ob es sich um Körperpflege in der Öffentlichkeit oder um ein Tänzchen handelt. Großer Beliebtheit erfreuen sich zum Beispiel die Ohrenputzer, die ihre Klappstühle in jedem Park aufgestellt haben. Mit langen Nadeln, an deren Ende sich verschieden große Bürstchen befinden, wird Ohrenschmalz akribisch entfernt. Das Geklingel, das das Werkzeug dabei verursacht, ist das Erkennungszeichen dieses Metiers. Wir trauen uns nicht, die an Stricknadeln erinnernden Werkzeuge sehen nicht sehr vertrauenerweckend aus…
Vor unserem Hotelfenster in Shanghai befindet sich ein großer, stark frequentierter Sportplatz. Jeden Nachmittag hören wir von dort laute Rufe – von einer älteren Dame, die sich täglich unter einen Baum stellt, die Arme hebt und senkt und dabei schreit. Niemand der anderen Sportler oder Passanten hebt auch nur den Kopf…
Gesundheit:
Auf Fitness wird großen Wert gelegt, die öffentlichen Sportplätze und die Sportgeräte sind stets gut besucht. Ob Tanzen, Qi Gong, Laufen… – alles, was umsonst und draußen ist, wird angenommen.
Gleichzeitig sehen wir so viele Raucher in China wie nirgendwo sonst. Zigaretten sind spottbillig, und in vielen Restaurants darf zumindest in separaten Räumen geraucht werden.
Das gibt es nur in China: Zahlenspiele…
Titus ist fasziniert: Chinesen zählen bis 10 mit nur einer Hand. Was ich bereits theoretisch von meinem Chorleiter in Singapur kenne, trifft uns in China beim Einkaufen und Busfahren unvorbereitet. Wir können die Gesten, die man uns vor das Gesicht hält, schlichtweg nicht deuten.
Also nutzen wir eine besonders lange Busfahrt und lernen gemeinsam die Handzeichen für die Zahlen 1 bis 5 (wie bei uns, nur beginnt das Zählen stets mit dem Zeigefinger. Das ist übrigens in ganz (!) Asien so.). Für 6 bis 10 müssen wir ein bisschen üben, aber bald haben wir den Dreh raus – und können das Ganze am Ende sogar noch mit den korrekten chinesischen Wörtern benennen! (Bild dazu siehe unten im englischen Textabschnitt.)
… und beispiellose Hilfsbereitschaft:
Trotz Sprachbarriere hilft man uns, egal, wo wir sind. Jeder zückt sofort sein Handy mitsamt der Übersetzungsapp, stets findet sich jemand, der doch zumindest ein paar Brocken Englisch spricht. Des Öfteren scheitern wir ja beim Kauf von Eintrittskarten, da wir die Online-Bezahlfunktion nicht nutzen können. Auch ohne viele Worte zückt wirklich jedes Mal jemand sein eigenes Mobiltelefon und kauft Tickets für uns, gegen Bargeld.
Nicht ein einziges Mal werden wir unfreundlich behandelt (auch wenn der Ton unter den Chinesen mitunter schon sehr harsch sein kann). Davon merken wir aber nichts, auch wenn mal etwas nicht so läuft wie erhofft, bleiben alle höflich und gastfreundlich.
Warum viele ältere Chinesen bei ihren Laufrunden allerdings rhythmisch klatschen, haben wir nicht herausgefunden.
* Achtung: alles natürlich aus stilistischen Gründen überzogen und ganz schlimm verallgemeinert!
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Observations of Everyday Life in China, Part 2
Click here for Part 1.
Traffic: Electric Scooters…
The number of electric scooters in road traffic is high. Almost everyone has such a vehicle, which is offered here for little money on any street corner for sale. These small scooters are quiet, manoeuvrable – and if necessary, they can transport up to three people as well as large loads.
Traffic rules do not apply to the scooters. If the street is too crowded, the scooters are driven on the sidewalk, without consideration of pedestrians and at undiminished speed.
Some sidewalks are fully parked with those vehicles in such a way that it is almost impossible to walk past. Since it can get very cold in China, at least in the first half of the year, every scooter has a specially customized winter outfit, consisting of a kind of cape with gloves attached to the handlebars. Windproof, waterproof and cozily warm – a brilliant invention I would like to have for my bike as well!

… and Bicycles
But also the bicycles have not completely disappeared from the streets, there are still intrepid cyclists, especially in the cities. However, hardly anyone has their own bicycle, practically everyone uses rental bikes. The system, which did not work in Germany or Singapore, is very popular here in China: There are rental and pick-up stations on every corner that can be operated by mobile phone.
Fashion: Shoes…
In China, people are crazy about sneakers. Whether from the Fake Market or the Gucci Store, men and women alike wear them. Preferably in white or as bright colours as possible. And no matter whether they go with a suit, a cute little dress or dungarees, which are omnipresent among women at the moment.
… and Children’s Clothing
Apart from that, however, gender neutrality seems to be unknown. Girls below 10 almost exclusively wear opulent tulle dresses, preferably in pink, purple or delicate rosé. Even the youngest ones can hardly move because of all the layers of tulle, sequins and frills.
The boys can be recognized by the fact that they wear martial designs on their T-shirts, and camouflage is also very popular. And of course always with a short hair cut as accurate as possible. Hardly anyone will believe that Titus has long hair and is male at the same time.
Family:
In China there is a massive workforce of almost 800 million people in the country, both men and women alike. Already Mao demanded the female labour force vehemently (“Women hold up half the sky”), during communism everyone should contribute his or her share.
No Shortage of Manpower:
It’s still the case today, among both the rich and the poor. The latter flocks in their thousands to the cities, some of whom live in abject poverty. This is not getting any better in the cities, but at least there is work for everyone.
The labour force is cheap, so there are enough people everywhere – for us it is often an unusual sight, when in a practically empty restaurant, twelve waiters lean bored at the counter or in the bus, apart from the bus driver, there is a ticket inspector on board (who has very little to do, as everybody pays by mobile phone or rechargeable card at the reader).
Grandparents are the best Babysitters:
In most cases, the children are taken care of by the grandparents, while both parents are fully employed – and often live far away. But even in cities like Shanghai, only grandparents are seen with their grandchildren in the afternoon at the playground. Of course, they are spoiled and protected by every trick in the book, since the one-child policy has only been cancelled since 2016. There is no climbing and romping, and Chinese children do not get dirty in the cities.
Social Life takes place outside:
Especially in the cities, housing is expensive and flats are small. Hardly any apartment – including the most expensive ones – comes with a balcony. What’s the point, you would only be lonely there. Instead, life after work or at retirement age takes place outside. Night after night, folding chairs are put on the sidewalk for a chat with the neighbours, for a game of cards or mah-jongg or simply to watch the strolling or sports people. Here, no one is left alone in their small living room; neighbourhood and community in general are important.
Ear Cleaners and Noisy Brats:
At the same time, everyone can do what they want. No matter whether it is personal hygiene in public or dancing. The ear cleaners, for example, which have set up their folding chairs in every park, enjoy great popularity. Earwax is meticulously removed with long needles, at the end of which there are brushes of different sizes. The ringing that the tool makes is the hallmark of this profession. We do not dare, the tools, which look like knitting needles, do not inspire much confidence…
In front of our hotel window in Shanghai there is a large, highly frequented sports field. Every afternoon we hear loud shouts from there – from an elderly lady who daily stands under a tree, raising and lowering her arms and screaming. None of the other athletes or passers-by even raise their heads…
Health:
Great importance is attached to fitness, the public sports fields and sports equipment are always well attended. Whether dancing, Qi Gong, running… – everything that is free and outside is highly frequentend.
At the same time we see more smokers in China than anywhere else. Cigarettes are ridiculously cheap, and in many restaurants smoking is at least allowed in separate rooms.

Only in China: Counting…
Titus is fascinated: The Chinese people can count to 10 using only one hand. What I already know theoretically from my choirmaster in Singapore meets us unprepared in China when we go shopping and take the bus. We simply cannot interpret the gestures that are held in front of our faces.
So we take advantage of a particularly long bus ride and learn together the hand signals for the numbers 1 to 5 (like with us, only counting always starts with the index finger. By the way, this is the same all over (!) Asia). For 6 to 10 we have to practice a bit, but soon we get the hang of it – and can even name the whole thing with the correct Chinese words at the end!

… and unprecedented Helpfulness:
Despite the language barrier we get help wherever we are. Everyone immediately pulls out their mobile phone with the translation app, there is always someone who speaks at least a few words of English.
Many times we fail to buy tickets because we cannot use the online payment function. Even without many words, each time someone takes out his own mobile phone and buys tickets for us, for cash.
Not once are we treated unfriendly (even though the tone among the Chinese can sometimes be very harsh). But we don’t notice anything of that, even if something doesn’t work out as hoped, everybody remains polite and hospitable.
Why many older Chinese clap rhythmically while walking rounds in the parks remains unsolved though …
* Attention: of course everything is overdrawn for stylistic reasons and generalized a lot!